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Was ist das fuer eine Pflanze? Mit Systematik zum Ziel!

Zu welcher Pflanze gehören diese Blätter? Erkennst du die Art? Wahrscheinlich nicht, denn auch erfahrene Botaniker und Botanikerinnen würden, obwohl sie womöglich eine Vermutung hätten, mehr Informationen benötigen, um die Art sicher benennen zu können. Trotzdem, auch wenn man hier die Art nicht auf den ersten Blick erkennt, kommt man dem Ziel (den Artnamen herauszufinden) um einiges näher, wenn man die Pflanze systematisch analysiert. Wie das geht, zeigen wir in diesem Beitrag. Dabei geben wir ein paar hilfreiche Schritte vor, mit denen du dich bei einer beliebigen Pflanze orientieren kannst.

 

Schritt für schritt

Wenn wir eine Pflanze systematisch analysieren, gehen wir schrittweise wie folgt vor.

 

1. Verholzt oder krautig?

Als erstes schauen wir, ob die Pflanze verholzt (Bäume und Sträucher) oder krautig ist. Die Rätselpflanze, oder das was wir von ihr sehen, ist offensichtlich krautig. Das klingt jetzt zwar banal, aber damit schliessen wir schonmal ein paar Pflanzenfamilien aus, nämlich jene, in denen ausschliesslich verholzte Arten vorkommen, wie z.B. Kieferngewächse (Pinaceae), Buchengewächse (Fagaceae) oder Birkengewächse (Betulaceae).

 

2. Blätter - wechselständig oder gegenständig?

Anschliessend widmen wir uns den Blättern. Wie sind sie am Stängel angeordnet? Stehen sie sich gegenüber oder wechseln sie sich ab? In unserem Fall stehen sie sich gegenüber, sie sind also gegenständig. Mit dieser Information können wir weitere Grossgruppen und Familien ausschliessen, nämlich all jene, deren Vertreter ausschliesslich wechselständige Blätter haben, so z.B. alle Einkeimblättrigen (Monokotyledonae), wie z.B. Liliengewächse (Liliaceae), Spargelgewächse (Asparagaceae) und Orchideen (Orchidaceae). Auch ausschliessen können wir alle Gräser (Poales), die ebenfalls zu der Grossgruppe der Monocotyledonae gehören. Weiter können wir zweikeimblättrige Familien mit wechselständigen Blättern ausschliessen, wie z.B.  Kreuzblütler (Brassicaceae), Schmetterlingsblütler (Fabaceae), Doldenblütler (Apiaceae), Rosengewächse (Rosaceae), Korbblütler (Asteraceae) und Weitere.

 

Eine ganze Reihe an Familien schliessen wir also aus. Welche kommen dann überhaupt noch in Frage? Welche Familien sind - zumindest teilweise - krautig und haben gegenständige Blätter?

 

Hier lassen wir dir etwas Raum zum Überlegen ;-).

Scrolle nach unten und es geht weiter.

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Gegenständige Blätter und krautige Vertreter haben beispielsweise folgende Familien (Liste nicht abschliessend):

- Lippenblütler (Lamiaceae)

- Nelkengewächse (Caryophyllaceae)

- Enziangewächse (Gentianaceae)

Dazu kommen noch ein paar kleinere Familien wie z.B. Hundsgiftgewächse (Apocynaceae) und Geissblattgewächse (Caprifoliaceae) mit Baldrianen (Valeriana), Witwenblumen (Knautia) und Skabiosen (Scabiosa). Und, wie sollte es auch anders sein, gibt es innerhalb der Familien mit mehrheitlich wechselständigen Blättern auch Gattungen oder Arten mit gegenständigen Blättern (einige Ehrenpreise (Veronica), einige Weidenröschen (Epilobium) und Weitere). Nichtsdestotrotz, bei einer krautigen Pflanze mit gegenständigen Blättern, lohnt es sich, die obengenannten drei Familien prioritär in Betracht zu ziehen.

 

 

Lippenblütler, Nelkengewächs oder Enziangewächs?

Spätestens jetzt sind wir auf weitere Merkmale als die Ausprägung der Blätter angewiesen.

Schauen wir uns also die Blüten an:

 

Womöglich hast du die Pflanze jetzt erkannt und weisst wie sie heisst? Oder du hast eine Vermutung? Dann könntest du den Namen in der Flora Helvetica nachschlagen und so deine Vermutung kontrollieren. Oder aber, du gehst weiter systematisch vor:

 

3. Blüten - radiärsymmetrisch (aktinomorph) oder monosymmetrisch (zygomorph)

 

Auch die Blütensymmetrie gibt Aufschluss über die Familienzugehörigkeit einer Pflanze. In unserem Fall sind die Blüten radiärsymmetrisch. Von unserer Familienauswahl können wir also die Lippenblütler (Lamiaceae) weiter ausschliessen. Weiter in Frage kommen die Nelken- und Enziangewächse.

Vielleicht denkst du jetzt: "Das sieht man doch, dass das kein Enziangewächs ist. Enziane sind ja blau." Ja, das stimmt, viele Enziane sind blau, es gibt aber auch gelbe und violette. Und aufgepasst, zu den Enziangewächsen zählen nicht nur Enziane, sondern auch z.B. die Tausendgüldenkräuter (Gattung Centaurium). Das Echte Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) sieht auch nicht aus wie ein Enzian, gehört aber trotzdem zu den Enziangewächsen.


Nächster Schritt:

4. Blüten - Krone frei oder verwachsen?

Die beiden noch in Frage kommenden Familien lassen sich einfach über die Ausprägung der Krone voneinander abgrenzen. Bei den Nelkengewächsen sind die Kronblätter frei (also nicht miteinander verwachsen), bei den Enziangewächsen sind sie hingegen verwachsen. Was trifft bei unserer Pflanze zu?


Bei unserer Pflanze sind die Kronblätter frei. Das ist auf dem zweiten Bild zu sehen, wo die Blüte offengelegt ist und man erkennen kann, dass die einzelnen Kronblätter auch im unteren Teil der Blüte losgelöst voneinander sind. Dementsprechend handelt es sich also um ein Nelkengewächs (Caryophyllaceae).

 

Übrigens: Beim oben erwähnten Echten Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea), das von Weitem auch als Nelkengewächs durchgehen könnte, sind die Kronblätter miteinander verwachsen, weshalb es definitiv nicht zu den Nelkengewächsen gehört.

Um nun herauszufinden, welche Art es genau ist, könnte man innerhalb der Familie weiter systematisch vorgehen (tun wir hier nicht), oder man schlägt die Flora Helvetica auf und sucht die Art bei den Nelkengewächsen. Das sind lediglich 32 Seiten (die ganze Flora hat 1686). Da wird man mithilfe der Bilder relativ schnell fündig und kann dann mithilfe der Beschreibung definitiv feststellen, ob es sich um die gesuchte Art handelt. In unserem Fall ist es die Rote Waldnelke (Silene dioica).


Wir hoffen, dass wir dir hier einen Einblick geben konnten, wie man mit systematischem Wissen (also mit Wissen über Merkmale von Grossgruppen und Familien) Schritt für Schritt herausfinden kann, wie eine Pflanze heisst. Dieses Vorgehen lehren wir in all unseren Kursen und ist bereits in unseren Grundkursen ein Thema, sodass man auch mit wenig Artenkenntnissen weiss, wie man bei unbekannten Arten vorgeht. An unseren Grundkursen erhält man auch weitere Schritte, mit denen man Pflanzen analysieren kann und eine Tabelle, wo die grossen Familien mit ihren Merkmalen aufgeführt sind. Zu unseren Grundkursen: Hier geht's lang.

 

Klar, mit der heutigen Technik kann man auch ein Foto der Pflanze machen und eine App nach ihrem Namen fragen. Das klappt in vielen Fällen recht gut (nicht in allen). Nachteil dabei: Man lernt wenig bis gar nichts und ist bei der nächsten Pflanze auch nicht schlauer!

 

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Wenn du eine Frage stellst, dann schau in ein paar Tagen nochmal rein, womöglich haben wir dann darauf geantwortet.

 

Hinweis: Die genannten Familien sind so beschrieben, wie sie in der Schweiz ausgeprägt sind.

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Kommentare: 4
  • #1

    Françoise Alsaker (Montag, 01 März 2021 18:27)

    Liebe Sonja und Constanze, ich finde es super, wie ihr mit solchen Schritt für Schritt Beiträgen vermittelt, wie man am besten bei unbekannten Arten vorgehen kann. Auch wenn man es mal gelernt hat, ist es gerade vor dem ordentlichen Erwachen der Natur sehr motivierend.
    Alles Gute weiter und hoffentlich einmal wieder auf einer Exkursion, auch wenn Zürich nicht gerade "bei Bern" liegt.
    Françoise

  • #2

    Philip (Freitag, 05 März 2021 14:21)

    Sehr spannend, danke euch!

  • #3

    Daniel (Samstag, 06 März 2021 19:47)

    Immer spannend eure Beiträge. Und das systematische Vorgehen macht echt Spass.
    Bis bald mal
    daniel

  • #4

    Nadine Dubs (Samstag, 20 März 2021 13:04)

    Wow, DAS war mal gut erklärt! Ich bin immer völlig hilflos am Anfang bei der Bestimmung einer unbekannten Pflanze. Ich gehe dann nach Farbe und suche mich zu Tode... So geht das also. Danke euch!